Von einer wilden Idee zum Traumjob – Interview mit Anna Yona von Wildling Shoes

Anna Yona, Credits © Sandra Chiolo

„Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh“ – nicht nur der Kinderliedklassiker, sondern auch Anna und Ran Yona stellen Füße in den Mittelpunkt. Ihr Label Wildling Shoes produziert, vermarktet und distribuiert international Minimalschuhe für Kinder und Erwachsene. Was genau Minimalschuhe sind und wie die beiden ein remote-Unternehmen führen, erzählt uns Anna Yona im Interview.


1. Ihr Antrieb zu gründen entstand aus einem ganz persönlichen Hintergrund: Ihre Kinder sind in Israel aufgewachsen und dort jahrelang barfuß gelaufen. Nach Ihrem Umzug nach Deutschland stand der Winter vor der Tür – und kalte Füße. Wie kam es konkret zur Entscheidung zu gründen?

Die Selbständigkeit war eher ein Zufall. Mein Mann, Ran, und ich haben lang in Israel gelebt. Unsere Kinder sind dort geboren und in ihren ersten Lebensjahren quasi barfuß aufgewachsen. 2013 sind wir nach Deutschland zurückgezogen und brauchten im Winter das erste Mal Schuhe für unsere Kinder. Wir konnten aber nichts finden, was sie mit ihren Füßen, die Freiheit gewohnt waren, tragen wollten. Die neuen Schuhe zwängten die Füße ein und machten den gewohnten natürlichen Bewegungsablauf unmöglich. Da ist die Idee entstanden Schuhe zu entwickeln, die ein Lebensgefühl “wie barfuß” mit wirklich nachhaltigen Materialien und fairer Herstellung verbinden. Diese “wilde Idee” hat mich dann überraschend zu meinem Traumjob geführt.

2. Sie sind Quereinsteigerin. In welcher Branchen waren Sie vor der Gründung unterwegs und welche Tipps haben Sie an Gründer:innen, die den Quereinstieg wagen wollen?

Bevor wir die Idee mit Wildling Shoes hatten, habe ich u.a. als Journalistin und Übersetzerin gearbeitet. Während der Gründungsphase haben wir uns dann mit sehr viel Leidenschaft auf unsere Kernkompetenzen konzentriert. Das wäre auch mein Tipp für den Schritt in die Selbständigkeit - Fokus, Fokus und nochmal Fokus. Sprich Konzentration auf das Wesentliche, das Alleinstellungsmerkmal und auch auf die Arbeit an sich. Ein gewisses Maß an Kompromisslosigkeit, um die eigene Idee durchzusetzen, kann auch nicht schaden. Zu viel Ablenkung, Multitasking etc. sind vor allem in der anstrengenden Gründungsphase schwierig.

3. Ihr Unternehmen funktioniert seit Beginn an remote. Stichwort Work-Life-Balance: Welche Herausforderungen mussten Sie meistern, um als Gründerpaar Familie, Freizeit und Arbeit von einem Ort aus zu koordinieren?

Für uns war völlig klar, dass wir aufgrund unserer drei, zu dem Zeitpunkt, noch kleinen Kinder nicht in einem extra Büro sitzen wollen. Im Homeoffice zu arbeiten war daher die für uns logischste und naheliegendste Lösung. Das Homeoffice macht es für unser Familienleben einfacher. Wir haben dadurch keine starre Trennung von Beruflichem und Privatem und können flexibel reagieren, wenn wir als Eltern gebraucht werden. Das bringt natürlich wiederum ganz andere, eigene Herausforderungen mit sich. Denn man muss darauf achten, dass dem Privaten und der Freizeit genügend und ein geschützter Raum gegeben wird.

Auf der anderen Seite braucht es im Homeoffice ein gutes Arbeitsumfeld, indem ich mich abgrenzen und konzentriert arbeiten kann. Gleichzeitig muss ich mich darin wohlfühlen. Die Ausstattung spielt dabei eine wesentliche Rolle - z.B. ergonomische Büromöbel wie ein Stehpult o.ä. Bestenfalls steht mir ein eigener Raum oder zumindest eine ruhige Nische zuhause zur Verfügung. Arbeiten vom Sofa aus oder am Küchentisch ist zwar nett, sollte aber eher vermieden werden. Wenn ich auf dem Sofa sitze, will ich Feierabend haben und am Küchentisch störe ich eher meine Familie.

4. Sie sind stetig gewachsen und haben rund 270 Mitarbeiter:innen, die nach dem Remote-First-Prinzip arbeiten. Haben Sie dadurch Vorteile, um durch die Corona-Pandemie zu kommen?

Dadurch, dass unsere Mitarbeitenden schon vor Corona zu knapp 75 % fast komplett im Homeoffice gearbeitet haben, hat sich für uns durch die Pandemie nicht sonderlich viel geändert. Die wenigen Berührungspunkte oder Treffen mit Teamkolleg:innen entfielen zwar wegen Corona. Aber die Umstellung auf 100% remote Zusammenarbeit war bereits vorher eingeübt. Daher mussten wir für uns im Betriebsablauf auch keine Notfallprozesse aus der Erde stampfen. Dennoch spüren auch wir die Herausforderungen für die Mitarbeitenden, wenn über längeren Zeitpunkt 100% remote gearbeitet wird. Die Pandemie entpuppt sich als eine Art Dauerbelastung für das Arbeitsklima und die Zusammenarbeit. Die lange Zeit ohne bildschirmfreie Begegnung setzt auch uns zu, was ich ehrlicherweise anfangs unterschätzt habe.

5. Sie setzen nicht nur in der Mitarbeiter:innenführung neue Maßstäbe, sondern auch bei Ihren Produktionsbedingungen – und verstehen sich als Teil einer großen Re:generation. Was versteckt sich hinter dem Begriff?

Wir sprechen mittlerweile lieber von “Regeneration” statt Nachhaltigkeit, weil Nachhaltigkeit - etwas auf dem aktuellen Level bewahren - angesichts der akuten Herausforderungen von Klimawandel und sozialer Ungerechtigkeit einfach nicht mehr ausreicht. In dem Moment, wo es nicht nur darum geht, so wenig Schaden wie möglich anzurichten, sondern vielmehr darum einen positiven Einfluss zu haben - großzügig zurückzugeben an die Gesellschaft, an Mensch und Natur - beginnt man ganz anders über wirtschaftliche Aktivitäten nachzudenken. Unser Ziel ist es Wege zu definieren, wie solch ein Wirtschaften aussehen kann - angefangen vom Anbau der Rohstoffe, über Fertigung, Reparatur und Recycling bis hin zum Umgang mit Finanzen, mit Arbeitskultur und mit geteiltem Wissen und Eigentum.

6. Sie haben Wildling 2015 gegründet. Auf welche Meilensteine sind Sie besonders stolz – und was würden Sie definitiv nicht noch einmal wiederholen?

Ich bin eher glücklich als stolz darüber, dass Wildling sich treu geblieben ist und wir es geschafft haben, unsere Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit zu bewahren. Nachhaltigkeit und Fairness sind uns immer wichtig gewesen, aber durch Wildlings finanzielle Möglichkeiten und Teamkompetenzen können wir mittlerweile eigene Wege gehen und neue Lösungen anstreben. Gemeinsam etwas bewegen zu können, motiviert uns alle.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich froh bin über jeden Fehler, den wir als Wildling gemacht haben. Alle Fehler sind gut und wichtig, weil sie uns weiter bringen.

7. Wildling hat 2021 den Deutschen Gründerpreis in der Kategorie Aufsteiger gewonnen. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Dass ich den Deutschen Gründerpreis entgegennehmen durfte, ist etwas sehr Besonderes und ein wichtiges Zeichen. Ich hoffe, dass die Auszeichnung für Wildling Shoes dazu beiträgt, dass wir mehr weibliche Vorbilder schaffen, gerade in der Gründungsszene. Deshalb hat uns das auch für alle Gründerinnen in spe sehr gefreut. Es gibt noch immer recht wenige weibliche Gründungen und ich glaube, dass es in der Anfangsphase enorm hilfreich gerade für Gründerinnen ist, Gleichgesinnte zu sehen, die diesen Weg schon einmal gegangen sind. Die Gründungsgeschichte von Wildling Shoes kann so als Orientierung dienen und hoffentlich Mut machen.

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